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William Shakespeare
König Lear


Premiere: 15. Oktober 2005, Stadthalle/EPH

Fotos link |

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -

Dramaturgie -
Regieassistenz -
Soufflage -
Ekkehard Dennewitz
Frank Chamier (Gast)

Annelene Scherbaum
Rachel Altmann
Bernd Kruse
König Lear

Darsteller:
König Lear - Peter Radestock | Goneril - Joanna Maria Praml | Regan - Juliane Beier | Cordelia - Laina Schwarz | Frankreich - Ullrich Wittemann | Burgund - Daniel Sempf | Kent - Stefan Gille | Cornwall - Peter Meyer | Albany - Christian Holdt | Gloster - Jürgen Helmut Keuchel | Tod - Stefan Piskorz | Edgar - Daniel Sempf | Edmund - Gabriel Spagna | Oswald - Ullrich Wittemann | Offizier - Bernd Kruse | Narr - Laina Schwarz

Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Beleuchtung - Susann Förster | Requisite - Margarita Belger | Maske - Grit Anders | Inspizienz - Ito Grabosch | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva Nau, Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn

Stück:

Lear, der machtmüde britannische König will sein Reich unter seine drei Töchter aufteilen, um dann abwechselnd bei ihnen zu residieren. Doch die jüngste Tochter verletzt die Etikette, sie vermag nicht Liebe zu heucheln wie ihre Schwestern.

Nun beginnt auf grausam reale Weise das „Spiel von der verkehrten Welt“. Die Intrigen inflationieren, Freund wird Feind und Feind wird Freund. Nur des Königs Narr spricht Wahrheit. Lears lange Einsicht in seinen verheerenden Irrtum führt ihn in den Wahnsinn. Die Narrenkappe gebührt dem König. Die verstoßene, gemeuchelte Tochter im Arm, wird er mit ihr sterben...


Pressestimmen:



Oberhessische Presse

Theater

Radestock ist des Königs würdig

Marburg. Mit Peter Radestock in der Titelrolle des König Lear hat Intendant Ekkehard Dennewitz den Marburgern eine große Inszenierung einer der größten Tragödien der Literaturgeschichte geschenkt.

von Gabriele Neumann

Wenn ein Stoff 400 Jahre nach seiner Entstehung noch höchst aktuell wirkt, dann hat man es gemeinhin mit einem Klassiker zu tun. William Shakespeares „König Lear“ ist so ein Klassiker. Es geht um Liebe, Täuschung, Intrige, um Sehen und Blindheit und ihr intelligentes Wechselspiel.

Wenn ein Stoff so aktuell wirkt wie bei der Premiere am Samstagabend in der Marburger Stadthalle, dann hat das auch etwas mit der Inszenierung zu tun. Die ist dem Intendanten des Hessischen Landestheaters in einer schwierigen Balance zwischen Groteske und Tragödie geglückt.

Das ist vor allem einem zu verdanken: Peter Radestock als König Lear. Radestock ist ein großer König. Er macht den Monarchen zu einem Menschen. Immer wieder blitzt der Schalk im wirren Blick des Königs auf, der an der Menschheit und sich selbst verzweifelt.

Lear hat sein Reich zu Lebzeiten unter seinen Töchtern aufgeteilt und ist der geheuchelten Liebe der beiden gierigen Nattern Goneril und Regan aufgesessen. Die jüngste Tochter Cordelia dagegen hat er verstoßen, weil sie keine Worte für ihre Liebe fand.

Zu spät erkennt er die fatale Fehlentscheidung. Denn kaum ist das Fell des Bären – buchstäblich – aufgeteilt, zeigen die beiden ihr wahres Gesicht. Im mit Rindenmulch ausgelegten und mit Arbeitslampen begrenzten Kreis im von Frank Chamier meisterlich in die Tiefe gebauten Bühnenbild beginnt die Reise in den Wahnsinn.

Dankbar lachen die mehr als 500 Premierenbesucher hin und wieder, wenn die Akteure ihre Rollen brechen, aus dem Stück heraustreten und das Publikum direkt anspielen. Wenn Edmund (Gabriel Spagna) sich zum theatralischen Gespräch mit seinem Vater, dem Grafen Gloucester (Jürgen Helmut Keuchel) erst einmal zur Seite räuspert.

Wenn Edgar (Daniel Sempf) seinem nach einer Intrige seiner Augen verlustig gegangenen Vater Gloucester den Koffer vor die Füße wirft, oder Edmund die Zuschauer fragt, welche der beiden reichen Schwestern er denn nun zur Frau nehmen soll.

Ein Kunstgriff, der zum Verständnis auch nötig ist, denn Dennewitz und Dramaturgin Annelene Scherbaum haben das Original in der Übersetzung von Raine Iwersen beherzt gekürzt. Die beiden Parallelhandlungen um Lear und den Grafen Gloucester erfordern einiges an Personal.

17 Darsteller sind zum Teil in Doppelrollen zu sehen. Die beeindruckendste davon ist Laina Schwarz. Als Cordelia und Narr behauptet sie sich an der Seite des Königs. Mit großer körperlicher Präsenz umtänzelt sie die lauernden Gefahren. Gemeinsam mit Stefan Gille als Graf von Kent, der sie um einen halben Meter überragt, bildet sie ein traurig-komisches Duo, das versucht, den König zu retten.

Ein großes Drama braucht keine großen Schnörkel. Ein guter Einfall deshalb, anstelle großer Bühnenumbauten das Licht von grell-weiß bis blutrot als Bühnenbild zu benutzen. Ebenfalls ein guter Einfall, Musik und Geräusche sparsam und handgemacht einzusetzen.

Stefan Piskorz teilt als Musiknarr mit melancholischer Akkordeon-Melodie die Akte ein, die Geräuschkulisse beim Sturm wird mit Percussioninstrumenten und Blech selbst erzeugt.

Einzig die Kostüme sind ein wenig drastisch geraten. Goneril (Joanna-Maria Praml) und Regan (Juliane Beier) gerieren sich als Dominas mit Sado-Maso-Gelüsten, umgeben von servilen Dienern mit Hundehalsband und willensschwachen Gatten in bodenlangen Mänteln.

Doch auch die manchmal etwas zu lauten Stimmen einiger Darsteller in der akustisch äußerst schwierigen Stadthalle stören die Kreise des verwirrten Königs kaum.

Am Ende stirbt der König, aber die Tragödie lebt – und wird vom Publikum mit lang anhaltendem Beifall und Fußgetrampel belohnt. Diesen König möchte man öfter sehen. Dazu haben alle Interessierten in dieser Woche noch zweimal Gelegenheit: Am Dienstag und Mittwoch steht „König Lear“ jeweils ab 20 Uhr in der Stadthalle auf dem Spielplan.








Giessener Allgemeine Zeitung
Die Falschzüngigkeit der Bussi-Bussi-Gesellschaft
Spielzeiteröffnung am Landestheater Marburg: Intendant Ekkehard Dennewitz inszeniert Shakespeares »König Lear« mit Peter Radestock in der Titelrolle


Als Peter Eschberg 2001 als Intendant am Schauspiel Frankfurt seinen Hut nahm, gönnte er sich zum Abschied den »König Lear«, Shakespeares Altersrolle schlechthin. In Marburg nun hatte das Leitungsteam des Landestheaters einen runden Geburtstag zu feiern: Beide - Intendant Ekkehard Dennewitz und sein Oberspielleiter Peter Radestock - wurden in diesem Jahr 60. Und so wagten sie sich zur Spielzeiteröffnung am Samstag an das umfassende Meisterwerk: der eine (Dennewitz) als Regisseur, der andere (Radestock) als Hauptdarsteller - ein mutiges Unterfangen, ein Kraftakt, denn die Erfahrung lehrt, wie schwer die sperrige Stadthalle zu bespielen ist.
Doch Frank Chamier hat ein kompaktes Einheitsbühnenbild gebaut, das die Geschlossenheit der Inszenierung manifest unterstützt: trutzige Seitenwände, die von weitem wie rostiges Eisen wirken und die eine Spielfläche voller Rindenmulch umrahmen - Festung und Natur also zugleich. Für die Auftritte der adeligen Mischpoke wird des Öfteren hinten eine Rolladentür gerauschvoll hochgezogen und gibt den Blick frei auf glänzende Volants. Zu Anfang tritt aus diesem gediegenen Rahmen noch König Lear in Erscheinung, um die folgenschwere Teilung seines Reiches zugunsten der Töchter zu verkünden. Später dann drängen die Emporkömmlinge durch dieses Tor an die Macht. Ab und zu, wenn gerade mal wieder einer der vom Hof Verbannten sich auf der Flucht befindet, leuchtet seitlich eine stilisierte Küstenlandschaftskarte auf. Die Kostüme tragen eine noch deutlicher Handschrift - Chamier scheut die grelle Überzeichnung nicht: Lears Töchter Goneril und Regan werden als Huren der Macht ausstaffiert und ihre Männer in Netzhemden zu überflüssigen Zuhältern degradiert. Joanna-Maria Praml (Goneril) und Juliane Beier (Regan) liefern sich in ihrer Gier manch keifiges Gefecht, um sich am Ende gegenseitig zu vernichten, während Peter Meyer (Herzog von Cornwall) und Christian Holdt (Herzog von Albany) als ausgemusterte Gatten mehr oder weniger hilflos danebenstehen müssen.
Da hat die jüngste der drei Schwestern schon den sympathischeren Part und Regisseur Dennewitz macht der talentierten Laina Schwarz noch ein zusätzliches Geschenk: Als aufrecht liebende Tochter Cordelia übernimmt sie außerdem die dankbare Aufgabe des quirligen Narren und kann so aus nächster Nähe über das Wohl des schwer angegriffenen Vaters wachen. Überhaupt die Narren: Bei Dennewitz spielen sie gleich in mehrfacher Ausfertigung eine entscheidende Rolle. Der traurige Musiknarr mit der Todesfratze (Stefan Piskorz) stimmt zwischen den Bildern immer wieder wehmütige Melodien mit seinem Akkordeon an. Wenn Stefan Gille den edlen weißen Anzug des Grafen von Kent abstreift, um in Latzhose und Fliegerkappe tolpatschig und treu dem verirrten Lear zu dienen, so sind seine Auftritte sogar zirkusreif. Es könnten auch Figuren von Beckett sein, die da die Bühne bereichern - und so weckt Ullrich Wittemann als unterwürfiger Herrschaftsdiener Oswald mit Halsband und Leine gewollt Assoziationen an den geschundenen Lucky aus »Warten auf Godot«. Der größte Narr aber bleibt der König selbst, denn wer kann schon so dumm sein, noch zu Lebzeiten seine Erbe zu verteilen, um sich gemütlich aufs Altenteil zurückzuziehen. Und so verkörpert Peter Radestock denn auch einen liebenswerten Kauz, der seine royalblauen Schuhe nur zu gern gegen Gummistiefel tauscht, damit er in Ruhe auf die Jagd gehen kann. Seine Physiognomie erinnert unweigerlich an Einstein, der sich ja auch im Alter etwas Kindliches bewahrt hatte. Und so haftet Radestocks Lear etwas Naives, Wohlwollendes, Gutmütiges an. Als sein Glaube an die Töchter allerdings tief erschüttert wird, bleibt ihm nur der Wahnsinn. Und hier schlägt Radestocks große Stunde: Sein Lear hat sich in einen traurigen Clown verwandelt, der in einem anrührenden Monolog die ganze Tragik dieser Figur aufs Feinste auslotet.
Plakativer fällt da das Spiel von Jürgen Helmut Keuchel aus, den als Graf von Gloucester mit seinen beiden Söhnen ein ähnliches Schicksal wie Lear mit seinen Töchtern ereilt. Der hintertriebene Edmund des Gabriel Spagna legt rasch seine harmlose Harry-Potter-Brille ab, um sich mit allerlei Listen und Lügen zielstrebig an die Macht zu katapultieren. Als verstoßener Bruder Edgar nimmt Daniel Sempf das Image eines Verrückten an, um sein Überleben zu sichern. Doch trotz aller Verzweiflung bleibt er eine ehrliche Haut, rettet den geblendeten Vater vor dem sicheren Tod und wird am Ende, wenn keiner mehr aus dem Geschlecht der falschzüngigen Bussi-Bussi-Gesellschaft mehr übrig geblieben ist, das schwere Erbe der Regentschaft antreten.
Reichlich drei Stunden dauert diese intensive Aufführung, die wohltuend auf Pathos verzichet und krasse Gegensätze nicht scheut. Auch wenn sie nicht jedem gefallen wird - langweilig ist sie zu keiner Sekunde.
Marion Schwarzmann
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